Ypern mon amour - ein Kunstprojekt von Harald Reusmann und Frank Wolf

Termine und Programm
Eröffnung: 8.5.2014, 18 Uhr, Etage 1, Raum 09
Ort: Zentrales Treppenhaus der Universitätsbibliothek, Etage 4 und 5
Dauer: 8.5. - 4.8.2014
Eintritt ist frei
Begrüßung
Dr. Erda Lapp, Direktorin der Universitätsbibliothek
Prof. Dr. Werner Voß, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutschlandforschung, RUB
Podium: Ein Bild machen vom Krieg
mit Prof. Dr. Dietmar Petzina, PD Dr. Mirjana Stancic, Dr. Dr. h.c. Klaus Waschik
Moderation: Dr. Frank Hoffmann
Lesung: "Verlassen sitze ich ... und meine Gedanken fliegen weit"
Aus Tagebüchern und Feldpostbriefen des Ersten Weltkriegs lesen die Sängerin Katrin Müller und der Künstler Frank Wolf.
Führung
Harald Reusmann und Frank Wolf führen im Anschluss durch ihre Ausstellung.
Kontakt
Dr. Frank Hoffmann, Institut für Deutschlandforschung, Tel. 0234 - 322 7863
Gisela Ogasa, Universitätsbibliothek, Tel. 0234 - 322 7354
Zur Ausstellung
Die Universitätsbibliothek Bochum und das Institut für Deutschlandforschung der RUB laden ein zur Vernissage am 8. Mai 2014 um 18.00 Uhr in Raum 09 auf Etage 1 der Universitätsbibliothek.

Die Zuspitzung der Krise um Krim, Russland und Ukraine gibt den Erinnerungsdaten des Jahres 2014 eine aktuelle Bedeutung: 100 Jahre Erster Weltkrieg, 75 Jahre Zweiter Weltkrieg, 25 Jahre Friedliche Revolution, 10 Jahre EU-Osterweiterung. Was als „Jahr der Europäischen Zeitgeschichte“ gefeiert werden sollte, wirft schlagartig brennende Fragen auf: Ist Krieg wieder denkbar? Wie war es damals? Lässt sich aus der Vergangenheit lernen? Zwei Ausstellungen in der Universitätsbibliothek Bochum, die am 8. Mai 2014 eröffnet werden, suchen nach Antworten.
Mit ihrem Projekt „Ypern mon amour“ setzen zwei Essener Künstler den Fokus stark auf das historische Bewusstsein der Zeit um 1914. Ausgehend von Bildpostkarten dieser Jahre mit Kriegspropaganda voll rührender Heldenverklärung gestaltet der Fotograf Harald Reusmann mittels moderner Computertechnik Bildmontagen, die den Kitsch und die Verlogenheit der Vorlagen in teils grotesker Form bloßstellen. Durch kühne Kombinationen gelingen beklemmende Brückenschläge in die Gegenwart, wenn zum Beispiel eine endloser Zug von Kriegsgefangenen in einen modernen Karnevalsumzug montiert wird.

Während Reusmann in oft serieller, mitunter satirisch erzählender Form das Panorama einer fremden Epoche zeigt, die uns auf einmal erdrückend nahe rückt, wählt der Bildhauer Frank Wolf eine intellektuellere Form historischer Vergegenwärtigung. Seine Skulptur „Der Körper des Soldaten“ trägt zugleich das Antlitz des Todes. Ein Ausgangspunkt der Arbeit ist Heiner Müllers Fassung von Brechts „Fatzer“-Fragmenten mit dem bösen Postulat: „Der Mensch ist der Feind und muß aufhören“. In dem dreidimensionalen Vexierspiel der Skulptur treffen vergangene und zukünftige Menschen auf gespenstische Weise zusammen, „um wie geisterhafte Partisanen unter uns zu hausen“, so der Künstler Frank Wolf.
Kurz: Die Gespenster der Vergangenheit sind wieder da! Eine bedrückende Botschaft eines aufregenden Kunstprojekts, das dank des Entgegenkommens von Frau Bibliotheksdirektorin Dr. Erdmute Lapp in der Bochumer Universitätsbibliothek seinen Platz findet. Die Künstler haben in der Realisierung des Projekts – das später u. a. auch in Osnabrück und Frankreich gezeigt wird – die räumlichen Besonderheiten Bochums einbezogen.
Die Ausstellung wird am 8. Mai 2014, 18.00 Uhr, in der Universitätsbibliothek Bochum in Anwesenheit der Künstler eröffnet. Als historische Hintergrundinformation wird, ebenfalls in der UB, die Plakatausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme“ der Bundesstiftung Aufarbeitung gezeigt. Auf über 20 Plakattafeln finden sich neben informativen Texten zahlreiche seltene Fotos und Dokumente, die spannend aufbereitete „Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“ versprechen. Beide Ausstellungen können bis zum 4. August 2014 in der Bochumer UB besichtigt werden (Eintritt frei, täglich geöffnet, werktags 8-24 Uhr, samstags 11-20 Uhr, sonntags 11-18 Uhr).
Weitere Informationen zum Projekt: Ypern mon amour
Vernissage und Rahmenprogramm
Die Ausstellung wird am 8. Mai 2014, 18.00 Uhr, in der Universitätsbibliothek Bochum in Anwesenheit der Künstler eröffnet. Als historische Hintergrundinformation wird, ebenfalls in der UB, die Plakatausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme“ der Bundesstiftung Aufarbeitung gezeigt. Auf über 20 Plakattafeln finden sich neben informativen Texten zahlreiche seltene Fotos und Dokumente, die spannend aufbereitete „Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“ versprechen. Beide Ausstellungen können bis zum 4. August 2014 in der Bochumer UB besichtigt werden (Eintritt frei, täglich geöffnet, werktags 8-24 Uhr, samstags 11-20 Uhr, sonntags 11-18 Uhr.).
Die Vernissage der Ausstellung (Raum 09 auf Etage 1 der UB) wird mit Grußworten von Dr. Erdmute Lapp und Prof. Dr. Werner Voß (für das mitveranstaltende Institut für Deutschlandforschung) eröffnet. Katrin Müller und Frank Wolf lesen aus Feldpostbriefen des Ersten Weltkriegs. Das Podiumsgespräch „Ein Bild machen vom Krieg“ komplettiert den Abend. Es wirken u. a. der Bochumer Historiker und Altrektor Prof. Dr. Dietmar Petzina und die Kulturwissenschaftlerin PD Dr. Mirjana Stancic (Zagreb / Essen) mit.
Im Rahmenprogramm werden Künstlerführungen (vsl. am 27. Mai, 24. Juni und 29. Juli 2014, jeweils ab 18.00, Treffpunkt: Eingang UB) angeboten. Außerdem bietet das Institut für Deutschlandforschung im Sommersemester 2014 eine begleitende Ringvorlesung an: „Von der Urkatastrophe zur Wiedervereinigung Europas? Eine Jahrhundertbilanz (1914-2004)“, mittwochs 12-14 Uhr, GB 04/86.
Dieses Kriegsspiel ist bitterernst

Krieg erscheint uns undenkbar, jedenfalls in unserer Lebenswelt, gar als Mittel der Politik. Gerade in der aktuellen Krise um Krim und Ukraine wird diese kategoriale Undenkbarkeit – mit bedrohlicher Häufigkeit – betont. Dies trennt uns von Gesellschaften, die sich noch nicht als „postheroisch“ verstehen, aber auch von unseren Großeltern und Urgroßeltern. Sie hatten vor 100 Jahren den Krieg noch sehr viel selbstverständlicher als Möglichkeit und erfahrene Realität im Bewusstsein. Zwar lag auch in Mitteleuropa der letzte Waffengang beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs über 40 Jahre zurück. Aber die Balkankriege, die kolonialen Kriege, der japanisch-russische Krieg oder militärische Übergriffe wie die Annexion Bosniens durch Österreich-Ungarn und die Expedition der Europäer nach dem „Boxeraufstand“ in China machten den Gedanken an den Krieg alltäglicher. Und gewiss spielte das Militär in der Gesellschaft eine kaum zu überschätzende Rolle; die Geschichte des „Hauptmanns von Köpenick“ spricht für sich. Krieg erschien möglich, kalkulierbar, gewinnbar.
Wie können wir uns dieser anderen Bewusstseinswelt nähern? Wie ist ein Dialog über die Generationen hinweg möglich, auch über die Brüche und historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts; übrigens immer eingedenk, dass diese fremde Mentalität anderswo in unserer Gegenwart durchaus lebendig sein könnte? Der Essener Fotograf und Bildkünstler Harald Reusmann versucht den Brückenschlag über die Zeiten und Erfahrungsräume hinweg. Er geht von einem populären Medium jener Jahre aus und liest daraus Botschaften an unsere Gegenwart. Seine gestalterische Arbeit an Bildpostkarten der Zeit um 1914 zeigt den Krieg in seinen unterschiedlichsten Facetten: als Anlass zum Abschied von Familie und Heimat, im vorweggenommenen Siegestaumel auf dem Weg an die Front, mit der Pose des Helden oder in der schönen Lüge vom Heldentod. Solche Karten waren ein Massenmedium, wie die Sammlung Historischer Bildpostkarten an der Universität Osnabrück belegt. Zum Themenfeld Erster Weltkrieg sind dort mehrere tausend Karten aus den Jahren 1914 bis 1918 gesammelt, darunter allein 175 mit Kindermotiven als Kriegspropaganda.
Solche Bildpostkarten kamen für diese Zwecke keineswegs nur in Deutschland zum Einsatz. So verwendet Reusmann für seine Montagen auch zeitgenössische Vorlagen aus Frankreich und Belgien. Wenn uns auf den ersten Blick einige Arbeiten als kühn, grotesk oder gar unerlaubt satirisch erscheinen angesichts des so ernsten Themas – so fällt dies Urteil in aller Regel auf die Vorlagen und ihren oft unerträglichen „Witz“ zurück, etwa wenn Kinder in den Raketen stecken, die auf den Feind gerichtet sind. Reusmanns Arbeiten montieren, variieren, verfremden die Vorlagen, aber sie verfremden sie zu einer neuen Sichtbarkeit. Der Umgang mit dem historischen Material erlaubt satirische Überspitzungen, aber er verletzt nicht, er wahrt einen Abstand, der die Würde früherer Generationen berücksichtigt und sie nicht dem Spott derer preisgibt, die aus historischem Abstand scheinbar alles besser wissen oder auch nur aus Schaden klüger geworden sind.

Reusmanns methodischer Zugriff ist vor allem seriell. Dies ergibt sich zum Teil aus dem Prinzip der Montage, das Variationen durch Ergänzungen, Retuschen oder Umstellungen provoziert. Doch stehen viele Montagen auch in Bezug zueinander und lassen sich zu der Bildgeschichte eines Soldaten reihen – vom Abschied bis zum „Tod auf dem Felde“. Zu diesem Serienprinzip gehören aus der Kölner Auswahl u. a. die Bilder „Aufbruch“, „Jeder Stoß ein Franzos“, „Abschied“, „Loreley“ und „Grabenromantik bei Ypern“. Die Collagengruppe von den Bildern „Torpeder“, „Stolzer“ und „Morgenrot“ dokumentiert die fortgesetzte Weiterentwicklung eines Motivs. Ein eher persiflierendes Verfahren lassen die Kartenspiel-Buben erkennen. Zu weiteren Motivgruppen gereiht sind einzelne „Heroen“-Geschichten (Richthofen-Serie, Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel). Dass Reusmann sich ein ausgesprochen beliebtes Motiv der Postkarten wie „Fräulein Feldgrau“ nicht entgehen lässt, versteht sich und lässt uns für einen Moment schmunzeln. Doch sogleich zieht er uns wieder mit künstlerisch und historisch besonders bewegenden Motiven in den Kontext von Krieg und Erinnerung. Diese Bilder streifen oft das Montageprinzip der satirischen Rückkopplung ab: die Integration eines Gefangenenzugs in eine Karnevalsmenge von heute („Karneval-Gefangenenzug“), die Reminiszenz an Yperns Denkmal am Menenpoort, die schemenhafte Vision einer Giftgas-Attacke („Gas“) oder das Bild zur Dolchstoßlegende („Dolchstoßlegende 1“), das in seiner Düsternis die Nähe zur Abstraktion wagt. Es wird unübersehbar: Dieses Kriegsspiel ist bitterernst.
Dr. Frank Hoffmann
