Raum - Zeit - Falten: Pop-up-Bücher aus der Sammlung Ulrich Tietz

Termine und Programm
Eröffnung: Freitag, 28.02.2014 | 18.00 Uhr | Ebene 1, Raum 09
Ort: Zentrales Treppenhaus der Universitätsbibliothek, Ebene 1
Dauer: 28.02. - 30.04.2014
Der Eintritt ist frei.
Die Ausstellung in der UB ist eine Begleitausstellung zu der Tagung "Raum - Zeit - Falten" im Rahmen des DFG-Projekts "Das Künstlerbuch als ästhetisches Experiment".
Programm der Vernissage
- Begrüßung durch die Organisatoren
- Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans: Pop-Ups und Künstlerbücher
- Ulrich Tietz: Einführung in die Ausstellung
Kontakt
Martina Stiemert, Universitätsbibliothek, Tel. 0234 - 3227065
aus der Presse
Artikel mit Fotostrecke in den Ruhrnachrichten vom 10.4.2014
Zur Ausstellung
Raum - Zeit - Falten: Pop-up-Bücher aus der Sammlung Ulrich Tietz

Die Universitätsbibliothek Bochum lädt zur Vernissage am 28. Februar 2014 um 18.00 Uhr im Veranstaltungsraum ein (Universitätsbibliothek, Ebene 1, Raum 09). Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Laura Emans, Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Am Samstag, dem 1. März 2014, schließt sich unter dem gleichen Titel eine interdisziplinäre Tagung zur Mediengeschichte und -ästhetik des Pop-up-Buchs an, die im Rahmen des DFG-Projekts "Das Künstlerbuch als ästhetisches Experiment", stattfindet. Die Tagung wird von Christian Bachmann organisiert und findet ebenfalls in der Universitätsbibliothek statt.

Pop-up-Bücher – also Bücher, die beim Aufklappen und Umblättern räumlich-dreidimensionale Papierkonstruktionen vor den Augen des Lesers erstehen lassen - sind seit dem 19. Jahrhundert für Kinder und für erwachsene Sammler gestaltet worden. Älter ist das Format des so genannten "movable book" - des Buches, das bewegliche flächige Elemente enthält, die mithilfe von Laschen, Strippen oder anderen buchmechanischen Vorrichtungen verschoben, gedreht oder anderweitig verändert werden können. Papiermechanische Konstruktionen wurden schon Jahrhunderte vor Erfindung der Pop-ups als informative Bestandteile sachkundlicher Bücher eingesetzt, etwa für medizinische oder astronomische Werke. Aber auch diese Konstruktionsformen wurden seit dem 19. Jahrhundert vorzugsweise für die Gestaltung von Kinderbüchern und Sammlerstücken verwendet.
Mit viel Raffinement und Einfallsreichtum entwerfen und realisieren neuere Papiermechaniker Pop-ups und ähnliche Papierkonstruktionen in Buchform, die nicht für Kinder, sondern für bibliophile Liebhaber gedacht sind. Wichtige Papieringenieure sind an ihrem individuellen Stil schnell zu erkennen.

Besonderes Interesse verdienen solche Pop-ups, die ihren Inhalten Märchen, Fabeln oder literarische Werke zugrunde legen. Sie erweisen sich als raffiniertes Medium zur Inszenierung der entsprechenden Stoffe im Raum des Buchs, die ganz oder teilweise abgedruckt oder nacherzählt, gleichzeitig aber auch in bewegliche Tableaus umgesetzt werden.
Die Exponate der Ausstellung stammen aus der umfangreichen Pop-up-Kollektion des Sammlers Ulrich Tietz aus Recklinghausen. Gezeigt werden ausgewählte Pop-ups verschiedener inhaltlicher und gestalterischer Ausrichtung. Ein Schwerpunkt liegt auf Beispielen für die Umsetzung von Textvorlagen aus der Literatur und dem Volksmärchen. (Laura Emans)
Zur Tagung
Raum - Zeit - Falten: Interdisziplinäre Tagung zur Mediengeschichte und -ästhetik des Pop-up-Buchs (1. März 2014)

Umdrehen, Aufschlagen, Blättern – in diese drei Praktiken ist, so Vilém Flusser in seinem Essay "Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft?" (1992), das Medium Buch eingebettet. Ein Buch lesen heißt demnach, diese drei Akte in eine sich wiederholende, rhythmisierte Abfolge zu bringen, die von Buch zu Buch, von Lektüre zu Lektüre, von Sitzung zu Sitzung variieren kann.
Die meisten Bücher lassen sich mit der Dreiheit hinlänglich beschreiben, jene nämlich, die dem bemerkenswert stabilen humanistisches Ideal verpflichtet sind, das von Aldo Manutio und seinen Zeitgenossen um 1500 etabliert wurde. Bücher also, die hauptsächlich mit Schrift gefüllt sind, deren Typographie vor allem funktionale Zwecke erfüllt und deren Inhalte zweidimensional über die Seiten verteilt sind. Trotz Bemühungen der Präavantgarden und Avantgarden – von William Morris’ Kelmscott Press bis zum Dadaismus –, die das Buch auf verschiedene Weisen zu einem Gesamtkunstwerk erheben wollen, ist es bis heute weitgehend uniform, besonders als der gebräuchliche Massenartikel seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Auch jüngere künstlerische und literarische Strömungen, die das Buch spätestens seit den 1960er Jahren semantisch nutzbar und als Medium sichtbar gemacht haben, konnten daran in der Breite nichts ändern.
Erst das eBook verändert seit wenigen Jahren unsere Vorstellung davon, was ein Buch ist. Umdrehen, Aufschlagen und Blättern beschreiben diese Bücher allenfalls metaphorisch. Das digitale Buch ist eine Kette von Buchstaben und Ziffern, die auf jedem Lesegerät, bei jeder Lektüre anders angeordnet sein kann. Der Text ist so gewissermaßen befreit. Losgelöst ist er allerdings auch von den semantischen Möglichkeiten des Materials: Schrift, Papier, Schutzumschlag usw.
Doch schon vor dem Beginn der Digitalisierung gibt es Bücher, die Flussers Akt-Trias nur teilweise erfasst. Allen voran das Pop-up-Buch, das durch eine Fülle anderer Handlungen gekennzeichnet ist. Trotzdem – oder gerade deshalb – wurde es bislang von der literatur-, medien- und kulturwissenschaftlichen Theoriebildung weitgehend übergangen. Lessing hat in der Laokoon-Abhandlung bekanntlich Literatur und bildende Künste in in Zeit- und Raumkünste geteilt, eine fragwürdige Unterscheidung, auf die bis heute rekurriert wird.
Trifft die Zweiteilung schon auf gedruckte literarische Texte nicht zu, weil Schrift ein räumliches Medium ist, so zeigt sich ihre Untauglichkeit besonders deutlich an Pop-up-Büchern, die den zweidimensionalen Raum der Schrift in die dritte Dimension erweitern. Der Frage, wie das Pop-up-Buch Zeit und Raum strukturiert und damit Texte auf andere Weise entfaltet als das »herkömmliche« Buch steht im Mittelpunkt der Tagung. (Christian Bachmann)