Gesichter der Freiheit - Ausstellung zum 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution in der DDR
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Termine und Programm
Eröffnung: Freitag, der 9. Oktober 2009
Uhrzeit: 12 Uhr
Ort: Universitätsbibliothek, Universitätsstr. 150, Etage 1
Dauer: 9.10.2009 - 15.1.2010
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 8 - 24 Uhr, Samstag von 11 - 20 Uhr, Sonntag von 11 - 18 Uhr
Begrüßung
- Dr. Erda Lapp, Direktorin der Universitätsbibliothek
Einführung
- Prof. Dr. Bernd Faulenbach, Stellvertretender Vorsitzender der Bundesstiftung Aufarbeitung, Berlin
- Prof. Dr. Dr. h c. Karl Eimermacher, Berlin
Schlußwort
- Prof. Dr. Werner Voß, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutschlandforschung an der RUB
Kontakt
- Dr. Frank Hoffmann, Institut für Deutschlandforschung, Tel. 0234 - 32 27 863
- Gisela Ogasa, Tel. 0234 - 32 27 354
Zur Ausstellung / Auszug aus der Pressemitteilung der RUB
Gesichter der Freiheit
Plakate und satirische Werke zum 20. Jahrestag des Mauerfalls Rahmenprogramm mit Lesung von Ingo Schulze
Zum 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution in der DDR rücken der Mauerfall, seine Vorgeschichte und seine Folgen an der Ruhr-Universität in den Mittelpunkt: "Gesichter der Freiheit" heißt eine Ausstellung, die das Institut für Deutschlandforschung und die Universitätsbibliothek gemeinsam veranstalten. Plakate zu den historischen Ereignissen werden dabei flankiert von satirischen Werken des ehemaligen Bochumer Slawistikprofessors Dr. Dr. h. c. Karl Eimermacher aus seinem Zyklus "Aus dem Land der Roten Socken". Eine Vorbesichtigung der Ausstellung mit Pressekonferenz findet am 6. Oktober 2009, 11 Uhr (Universitätsbibliothek, 1. Etage), statt. Auch zur Ausstellungseröffnung am 9. Oktober 2009 um 12 Uhr sind die Medien herzlich eingeladen.
Menschen, die sich ihre Freiheit genommen haben
Die Ausstellung "Gesichter der Freiheit" erinnert an die Friedliche Revolution in der DDR im Jahre 1989 und schlägt zugleich einen Bogen zu den Voraussetzungen und Folgen dieses überwältigenden Ereignisses. Im Mittelpunkt steht die historische Vergegenwärtigung der Ereignisse vor 20 Jahren. Die Bild-Text-Tafeln der von der Bundesstiftung Aufarbeitung konzipierten Plakatausstellung zeigen die einzelnen Stationen des dramatischen Geschehens in Leipzig, Ost-Berlin, Plauen, Dresden und anderen Orten der DDR im Herbst 89 und erinnern an den Weg zur deutschen Einheit. Auch wenn natürlich viele Politiker aus Ost und West im Bild erscheinen - im Mittelpunkt stehen immer wieder die Menschen in der DDR, die sich ihre Freiheit genommen haben, zum Beispiel bei der Kontrolle der (gefälschten) Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 oder bei der Eroberung des Westens im Trabi-Korso nach dem 9. November 1989.
Politiker, die wieder munter mitmischen
Einen bewussten Kontrapunkt setzt der Werkzyklus "Aus dem Land der Roten Socken" von Karl Eimermacher. Hier geht es gegen das Weichspülen der Erinnerungen an die DDR als eine scheinbar idyllische Welt, eine "kommode Diktatur". Mit der Schärfe lebensgeschichtlicher Erfahrungen in Ost und West und mit dem künstlerischen Mut zupackender Satire gestaltet Eimermacher Szenen der Inszenierung von Macht und Versagen vor und nach der Zeitenwende. Die Graphiken und Objekte lenken den Blick auf die Mächtigen von einst, die heute scheinbar alles vergessen haben, nicht an ihre Geschichte erinnert werden wollen und trotzdem schon wieder eifrig mitmischen in Politik, Kultur, Gesellschaft.
Lesung, Ringvorlesung, Tagung
Zum Rahmenprogramm der Ausstellung gehören zahlreiche Führungen und eine Lesung von Ingo Schulze, Träger des Peter-Weiss-Preises der Stadt Bochum, am 26. November 2009. Die Lesung verzahnt die Ausstellung mit weiteren Veranstaltungen des Instituts für Deutschlandforschung zum 20. Jahrestag des Mauerfalls unter der Überschrift "Die Erfahrung der Freiheit": einer internationalen Konferenz im November und einer Ringvorlesung im Wintersemester 2009/10. Geplant ist auch ein Lesebuch zur Europäischen Revolution 1989/91.
Öffentliche Führungen
Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei. Die öffentlichen Führungen stellen jeweils einschlägige Texte zu der Plakatausstellung vor und dauern ca. 30 Minuten.
9. Oktober 2009, 12 Uhr
Eröffnung und Führung mit Schwerpunkt "Montagsdemonstration"
21. Oktober 2009, 12 Uhr
Führung für die Teilnehmer der Ringvorlesung "Erfahrung der Freiheit"
28. Oktober 2009, 16 Uhr
Führung mit Schwerpunkt "Kohls 10-Punkte-Programm"
9. November 2009, 19 Uhr
Führung mit Schwerpunkt "Die Mauer fällt"
26. November 2009, 19 Uhr
Lesung mit Ingo Schulze
7. Dezember 2009, 12 Uhr
Führung mit Schwerpunkt "Zentraler Runder Tisch"
15. Januar 2010, 16 Uhr
Finissage und Führung mit Schwerpunkt "Sturm auf die MfS-Zentrale"
"Im Land der Roten Socken" - zu den Arbeiten von Karl Eimermacher 1
Karl Eimermacher: Socken, diesmal rot
Zwei Deutungsversuche
I.
Wie dem auch sei: Da sind sie wieder, die Roten Socken, auch wenn ihr Rot langsam verblaßt. Nur scheint es dafür nahezu überall durch, erfaßt den ganzen Körper, verändert ihn, so als wär er innerlich rot durchtränkt. Oder war das schon immer so? Gab es etwa schon immer Rote Socken?
Wurden Sie etwa nicht gewaschen?
Vielleicht gab es nicht genug Persil? Oder hätte man sie entfärben, desinfizieren und übertünchen, oder überhaupt hinter Schloß und Riegel bringen müssen?
Heute geben sie sich farblos: Gerötet seien sie von fremder Hand... Sie kleiden sich neu ein, um comme il faut zu sein. Sie versuchen sich zu verstecken, zu fliehen, scheinen erblindet und ohne Gedächtnis... Wer sie erkennt, gilt als böswillig, farbblind, egoistisch, kalt, unmenschlich...
Die Sprache bietet viel Schutz, deckt weniger auf als sie verdeckt. Und die Bilder, entblößen sie im Verdecken?
Ob man will oder nicht: Die Roten Socken sind einfach da, so wie sie immer schon da waren und wohl auch in Zukunft da sein werden.
Reinwaschen lassen sie sich jedenfalls nicht. Rot bleibt rot, da helfen keine Pillen. Auch Anschwärzen hilft da nicht.
Muß man sie lieben, um sie von der Farbe zu erlösen? Könnte Vergebung eine Gewähr sein, damit sie aus Dankbarkeit nicht rückfällig werden?
Wäre Reden, Verstehen oder Verständnis ein Weg zur Bewältigung der Vergangenheit? Könnte so eine erneute Selbstinfizierung und nochmalige Epidemie verhindert werden?
Und wie steht es mit der Reue? Wer bringt ein vernehmliches ?Ich bin schuldig? über die Lippen?
Und wo bleiben die Mitmenschen? Läßt sich ihr Vertrauen wiederherstellen? Können die Geröteten nicht erst nach einem uneingeschränkten Bekenntnis aufrecht gehen und frei atmen?
Socken sind Erscheinungen des Alltags. Sie gehören offenbar dazu. Vielleicht leider. Sie wärmen und schützen, wenigstens die einen. Sind sie durch und durch einfarbig, streben sie nach Macht. Sie können dann alles beherrschen, offen oder auch versteckt. Und hatten sie einmal Macht, dann hinterlassen sie ganze Netze von Beziehungen. Seilschaften. Sie verschwinden nur langsam. Ihre Wirkung geht tief, auch ohne Farbe erkennen zu lassen.
Sie haben Einfluß auf die Art wie man geht, wie man sich gibt, wie man erscheint, auf welcher Seite und für wen das Herz schlägt, aber auch darauf, ob der Kopf klar ist. Es gibt sie in jeder Coleur, in Braun, in Gelb, in Schwarz. Auch farblich unspezifisch kommen sie vor: verwaschen, natürlich auch persilgereinigt (sogar mit Schein!). Sie geben sich dann angenehm wohlwollend, geradezu familiär, auch tierliebend. Innerlich aber sind sie kalt, pragmatisch, vorteilsorientiert, menschenverachtend, und falls nötig rigoros.
Schuldgefühle? Die gibt es nicht. Dafür werden Rechtfertigungsmanöver eingeleitet. Im Nachhinein sind fast alle nur Opfer. Sie versuchen zu begründen, daß das Schicksal, der gute Glaube, die im Prinzip richtige Ideologie und vieles andere mehr (auch die Krankheit der Kinder kann bemüht werden) sie von einem ursprünglichen Paulus zu einem Saulus hat werden lassen. Sie seien tatsächlich aber unschuldig und im Prinzip gut.
Ihre problemlose Rückverwandlung in einen schon immer guten Paulus ist daher für sie keine Frage. Alle sind doch Nachbarn... Ist nicht fast jeder ein potentieller Wendehals?
Und wenn da vielleicht mal was war, dann gelten immer noch die alten Volksweisheiten: Eine Krähe hackt doch der anderen kein Auge aus, in der Not muß man sich doch gegenseitig helfen, alle müssen doch gemeinsam an einem Seil (Strang?) ziehen, alle haben doch die gleichen europäischen Wurzeln, alle sind doch Brüder, bilden eine Familie, auf jeden Fall jetzt, wo die Angst und Bedrohung, die von der Diktatur ausging, geschwunden ist. Am besten wäre es, man ginge zur Tagesordnung über: Jetzt, wo es nicht mehr auf die Ideologie ankommt, kann man sich endlich sachlich verhalten. Jeder ist frei, seine Probleme selbst zu lösen... Warum sollen dies andere tun? Was geht sie das alles überhaupt an? Warum in der Geschichte wühlen oder so prinzipiell denken? Warum soll man sich das Leben unnötig schwer machen? Es muß doch mal Schluß sein mit dem, was war. Biographie hin, Biographie her.
Ja, es lebt sich einfacher ohne Geschichte. Auch würde es genügen, im Lebenslauf nur die guten, die erinnerungswürdigen Fakten zu erwähnen. Ein Leben voller guter Taten hätte sogar Vorbildcharakter für künftige Generationen. Positive Legenden sind genauso viel Wert wie neue Lebens- und Geschichtsentwürfe, Visionen, Utopien. Bringen wir also die Erinnerung in die Gegenwart ein: Wir, damals, ja, das war noch ...
Gemischt ist das Schicksal der scheinbar farblosen Socken... Nur wenige von ihnen sind wirklich ohne Farbe geblieben, andere betrachteten Farbe als eine Schutzschicht, die den direkten Blick auf die eigentliche Reinheit verwehren hilft, wiederum andere glaubten, resistent gegen Farbe zu sein, nahmen sie jedoch trotzallem, unbemerkt, an.
Jeder hat eigene Gründe für seine Farbe. Manche verharmlosen sie, andere sind betroffen, auch gebrochen.
Aber Schuld?
Wem konnte die Farbe nichts anhaben? Wer hat sich seine Ursprungsfarbe bewahrt? Wer muß nichts bedenken, um aufrecht zu gehen? Wer braucht keine Rechtfertigungskrücken? Wer muß sich nicht maskieren? Wer ist nicht auf der Flucht? Wer muß sich nicht verstecken? Wer ist kein Mutant, sondern nur Invalide?
Ja, wenn es nur die Farbe wäre. Was ist, wenn eine eingefärbte Socke Macht bekommt, wenn sie zudem noch einen scharfen Verstand besitzt, oder vor Tumpheit nicht laufen kann, oder vor Zynismus platzt? Was ist, wenn menschenbeglückende Utopien sie fortreißen, wenn Utopien als Drogen eingesetzt werden, um andere zu verführen, wenn Eigennutz der eigentliche Handlungsantrieb ist? Wenn sich zudem Macht, Utopie und Instinkte vermischen, in Rote Socken verwandeln, die sich als Fahnen selbst in den Wind der Geschichte hängen und alles Leben bestimmen?
Wer beantwortet all diese Fragen? Wer besitzt die unangefochtene Wahrheit, um urteilen zu dürfen?
Und das Gewissen, welche Rolle spielt es?
Wo ist der klare Blick, der alles durchschaut und sich selbst nicht belügt?
Und die Liebe?
Begeben wir uns doch einfach mal ins Land der Roten Socken, vor der Wende, nach der Wende... Was hat sich da getan, was tut sich noch im Land des falschen Lächelns? Gibt es die Roten Socken nicht auch ohne Land und ohne Wende? Ist die Serie der Socken endlos und sind die Socken so vieler Farbschattierungen vielleicht zeitlos? Sind sie immer noch irgendwie in Saison und in Mode?
II.
Rote Socken gibt's nicht mehr. Ihr Rot ist bis zur Unkenntlichkeit verblichen. Nur ihre unmittelbaren Nachbarn können sich an sie noch erinnern. Kriminalisten oder Archäologen müssen dagegen mühsam recherchieren, tief graben und viel Schutt beseitigen, um sie auszumachen, freizulegen und zu begutachten. Außerdem: Dem Zahn der Zeit hält ohnehin keine Farbe stand. Das wissen wir, das war doch immer so! Oder?
Bei den Braunen Socken hatte man seiner Zeit jedoch noch geglaubt, gegen den Lauf der Zeit handeln zu können. Man wusch sie versuchsweise. Mit Persil versteht sich. Wer nicht braun oder nur schwach braun war, der erhielt darüber sogar eine Bescheinigung. Die Reinigung entsprach einer Desinfizierung. Andere lochte man ein. Wer nicht gewaschen wurde, übertünchte das Braune selbst oder dachte sich eine Farbe aus, die ihm nun besser steht. Ja, so war das damals.
Man wollte jedenfalls nicht braun sein. Wenn nichts mehr half, besorgte man sich neue Hosen, Röcke, Anzüge, kurz neue Socken, einfach andere: Kleider machen eben Leute. Wenn all das nichts half, dann mußten eben auch noch Löcher ins Gedächtnis gebohrt werden. Niemand mußte sich verstecken, fliehen... Die Welt bestand so und so aus Masken. So war das offenbar auch mit den Roten Socken. Ist doch klar, wie die Zeiten so änderte sich auch das äußere Erscheinungsbild. Daran ist nichts Besonderes.
Und wenn all das nichts half, mußte eben auch sprachlich nachgearbeitet werden: Erfindung neuer Wörter, beispielsweise. Denn: Jede neue Benennung erzeugt auch eine neue Wirklichkeit. Es genügt sogar, wenn sie nur virtuell existiert. Muß ja nicht jeder gleich merken. Und bis die beckmesserischen Historiker kommen, Wahrheit von Dichtung trennen, weil sie immer alles genau wissen wollen, geht viel Wasser die Elbe und Oder runter...
Die Roten Socken waren sich sicher: Wen die Zeit nicht verschwinden ließ, den mußte man verschwinden lassen. Irgendwie mußte es möglich sein, seine eigene Biographie zu überrumpeln und sich an der eigenen Geschichte vorbeizuschummeln. Das war doch früher auch möglich, wenn man den Historikern glauben darf.
Also: Was nicht ist, muß auch nicht ernsthaft beseitigt werden. Und wenn dem so ist, dann gibt es heute auch kaum Gelegenheit, die Roten Socken zu lieben oder zu hassen. Sie sind unsichtbar, gleichsam weg.
Auch ihr Rot. Wie das? Ganz einfach: Ihre Geschichte wird historisch so verkürzt, daß jede Erinnerung an die Socken verblaßt. Ihr Rot wird unkenntlich. Dadurch entstehen Leerstellen der Geschichte, die es jedoch im Prinzip nicht geben kann, da Geschichte nur kontinuierlich und flächendeckend denkbar ist. Also, schließt die Lücken! Füllt die Leerstellen, damit die Geschichte wieder in Ordnung ist. Und dann noch ein Griff in den Fundus der menschlichen Kultur. Nutzen wir den Universalkleber der Geschichte: Her mit den zeitlosen Mythen, die wie Joker überall anschließbar sind und schon immer Wunder bewirkt haben: Das Greul der Roten Socken war doch nicht so schlimm, wie behauptet wird... Und überhaupt: Das ist doch schon so lange her, wir leben doch heute in einer völlig neuen Welt, haben neue Probleme, die es zu lösen gilt. Es ist unsinnig, sich allzu lange mit der Geschichte aufzuhalten... Es gibt Wichtigeres. Vergangenheitsbewältigung, das ist doch alles Pappalapapp. Genauso wie Vergebung und so. Was passée ist, ist weg und kratzt uns nicht mehr. Die Schuldfrage kann man den Pfarrern überlassen, noch dazu, wo sie es als ihre Pflicht ansehen, um Vergebung auch für andere zu bitten. Und sollte es wirklich mal schlimm gewesen sein, dann waren sicherlich schon die Juristen am Werk. Die Zeit der Socken ist eindeutig vorbei, sie können uns nicht mehr schrecken.
Sie sind verschwunden und keine Erscheinungen des Alltags mehr. Sie existieren nur noch in der Kunst. Hier kann man sie wieder aufrufen, manipulieren, sich über sie lustig machen. Hier hat hämisches Lachen seinen Platz: Es erniedrigt die Anderen und macht Platz für eigenen Hochmut. Außerdem baut Lachen Stress ab, heilt alte Wunden und ist dazu noch ein sinnvoller Zeitvertreib. Kunst distanziert, baut Angst ab, besitzt ihre eigenen Mechanismen, mit Geschichte umzugehen. Und wirken ihre Gegenstände komisch, dann braucht es auch keine Betroffenheit zu geben. Die aufgerufenenen Welten sind fern, fremd, jedenfalls nicht bedrohlich.
Die einst wärmenden, schützenden oder ehemals leidenschaftlich-bedrohlichen Socken scheinen kalt und brüchig. Ihre einstige Macht ist sichtbar geschwunden. Und was hinter den Kulissen geschieht, kann eigentlich nur harmlos sein. Und überhaupt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Und wenn da noch was sein sollte, Seilschaften und so, dann ist das doch normal, die gibt es immer und überall. Die Farbe spielt keine besondere Rolle. Es muß nur bunt genug zugehen, dann relativiert sich alles von alleine. Also, keine Aufregung. Man soll nicht immer alles so ernst nehmen. Und sowieso: Die richtigen Roten Socken sind abgewickelt, weg, man muß sie nicht wie die braunen mit Persil reinigen.
Gottseidank heilt die Zeit: Die Welt ist wieder so einigermaßen in Ordnung. Endlich: Alle Menschen können wieder Brüder werden... Natürlich gibt es immer auch noch solche, die innerlich kalt, pragmatisch, vorteilsorientiert, menschenverachtend, rigoros u. ä. sind. Die gab es doch auch immer. Das ist nichts Besonderes.
Also, weg mit den Schuldgefühlen. Man muß doch nicht immer gleich Rechtfertigungen erzwingen wollen. Täter oder Opfer, das ist hier nicht die Frage. Aus jedem Saulus kann - wie wir wissen - ein Paulus werden. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben. Es ist doch schön, daß sich Böses in Gutes verwandeln kann. Mit der Zeit hat sich Humanismus immer durchgesetzt. Sonst brauchten wir doch gar nicht erst zu leben. Wir haben es oft genug gesehen: Auch verlorene Söhne kehren in den Schoß der Familie zurück. Also, unterlaßt euer geiferndes Geschrei, euer Selbstmitleid usw., lacht lieber über die anderen.
Entwarnung! Die Gefahr ist vorüber.
Gehen wir zur Tagesordnung über: Jeder löst seine Probleme. Punkt, aus. Die Geschichte kann neu beginnen.
Ja, es lebt sich einfacher ohne Geschichte. Und wenn schon Biographien, dann müssen sie halt umgeschrieben werden: Störendes muß entfernt und runde Lebensläufe müssen konstruiert werden. Wir brauchen das Schöne, um Kurzweil auszulösen: Man lehnt sich dann einfach zurück, schlüpft in die Rolle des Voyeurs und erfreut sich an der Vergangenheit wie an den Blumen einer schönen Wiese. Wie wunderbar war das doch damals, und so interessant!
Noch Fragen nach den Socken, den roten? Hat etwa jemand Probleme mit ihnen? Gäbe es da vielleicht noch andere Deutungen?
Wie dem auch sei: Auf denn! Es kann gelacht werden. Begeben wir uns ins Land der Roten Socken, vor der Wende, nach der Wende... Fein, nicht wahr, wenn es wieder mal was zum Lachen gibt!
"Im Land der Roten Socken" - zu den Arbeiten von Karl Eimermacher 2
Gisela Riff, Mai 1998
Karl Eimermacher nennt diese Serie seinen persönlichen Beitrag zum Tag der Deutschen Einheit. Also, nähergetreten, Brille zurechtgerückt, denn die Zeichnungen sind zum Teil winzig klein, außerdem enthält jede von Ihnen einen maschinenschriftlichen Kommentar. Nach spätestens zehn betrachteten Bildern wird klar, daß es einige Wiederholungsstrukturen gibt, die diese uneinheitlichen Kritzeleien zur Serie machen. Dies geschieht einerseits durch fortlaufende Nummern, obgleich die Zeichnungen nicht logisch aufeinanderfolgen, andererseits durch das binäre Vorher/Nachher. Auf jeder Zeichnung, mit Ausnahme einer einzigen, heißt es entweder "Vor der Wende" oder "Nach der Wende". Die Bildunterschrift auf der Ausnahme spricht von einer ROTEN SOCKE AN DER MAUER. Überhaupt ist die ganze Zeit nur von ROTEN SOCKEN die Rede. ROTE SOCKEN präsentiert durch coole Agitatoren und heiße Scharfmacher, ihre törichten Bräute, Gattinnen und ihre unschuldigen Kinderchen. Blauäugige Opfer-Täter; Sonnenbadende Funktionäre am Strand von Bulgarien, nein eben gerade nicht Bulgarien, das stand ja jedem offen, nein, pardon, das ist der Strand von Jugoslawien. Im Verlauf des Festes beschaust du noch die oder jene Reihe, hast dadurch die Möglichkeit zum Small Talk mit diesem oder jenem Bekannten, "Haha, kuck ma den da, kommt mir irgendwie bekannt vor" ...Du spürst anfangs eine gewisse Unruhe unter den Gästen, schließlich wissen alle bestens, worum es geht. Die meisten von euch hatten, wenn sie nicht selbst wenigstens eine Zeitlang solche SOCKEN trugen, doch immerhin Kontakt mit ihnen. Andere wieder, rochen, spürten sie, fühlten sich durch sie bedroht oder wurden wirklich von ihnen mißhandelt oder gedemütigt. Manche von euch ahnen ihre Anwesenheit auch heute noch. Man ahnt Menschliches und sogar Allzumenschliches, dargestellt sind aber nur Schimären, Typen, strichmännchenartige Wesen. Mutiert oder nur schlecht gezeichnet? Alle sind irgendwie verkorkst, verkrümmt, verunstaltet. Da sind Krakel auf Hotelrechnungen und Bierdeckeln. Und immer wieder VORHER/NACHHER und ROTE SOCKE, AGITATOR. Alles entweder absichtlich schlecht oder unabsichtlich gut dargestellt. Da wollen wir doch mal den Künstler selber fragen.
Und so stellst du dich neben den frischgebackenen Sechziger, stößt an auf sein Spezielles und lobst ihn ein wenig und fragst ihn ganz nebenbei aus.
---Ja, wer hätte das gedacht! Da ist ein vielbeschäftigter Wissenschaftler, gelernter Sprach- und Literaturwissenschaftler und Historiker, ein Slavist mit kulturtheoretischen Interessen. Und der stellt plötzlich solche Zeichnungen vor. Wir wußten ja, daß dich Kunst interessiert, nicht aber, daß du selbst zum Zeichenstift greifst.
---Ja, das mach ich schon lange, sogar schon sehr lange.
---Mischst du dich nun etwa in den Wahlkampf ein, stellst du die Wendehälse bloß, die Blockflöten, die unbelehrbaren Roten Socken?
---Aber nein!
---Du stichst mit spitzer Feder auf die ein, die am Boden liegen?
---Nicht daß ich wüßte.
---Willst du zum Racheengel werden?
---Wie käme ich darauf?
---Bekanntlich stammst du ja aus dem Ostteil der Stadt und bist Mitte der Fünfziger Jahre als Flüchtling in den Westen gekommen.
---Nicht als Flüchtling, ich bin umgezogen.
---Du hattest aber sicherlich Gründe dafür?
---Ja, natürlich.
---Wahr ist doch auch, daß du nach der Wende "abgewickelt" und "neustrukturiert" hast.
---Ja, und zwar auf Wunsch des Wissenschaftsrates. Ich sehe darin nichts Ehrenrühriges, auch wenn mich hinter meinem Rücken einige Leute eine "strengen Kommissar" nannten und versuchten, mich vielerorts anzuschwärzen. Ich habe mich eingemischt, das stimmt. Es stimmt auch, daß ich fast vier Jahre lang ehrenamtlich in Gremien mitgearbeitet habe und schwierige Entscheidungen mittragen mußte.
---Haben dir die ROTEN SOCKEN Spaß gemacht?
---Nein, sie haben mich geängstigt und bedroht. Erst jetzt, wo ich sie euch zeige, gewinne ich Abstand und finde sie kurios. Aber spaßig? Nein. Ursprünglich meinte ich, ich könne mit den Figürchen spielen, bis ich merkte, daß sie ihr Spiel mit mir trieben. Sie hatten mich in der Hand. Sie haben mir ihre Welt aufgedrängt, ihre Ansichten und Einsichten, ihre Moral, ihre Slogans.
Wie gewöhnlich in den vergangenen - sagen wir mal gut 44 Jahren - machte sich Karl Eimermacher während Sitzungen und Pausen, am Telefon, später dann auf der Heimreise im Zug und Flugzeug stenographische Notizen zum Inhalt der Gespräche. Im Fall der hier veröffentlichten Zeichnungen flossen ihm ab und zu kleine Monster aus der Feder und sagten Sentenzen wie "Ich habe aber immer dran geglaubt", "Wir waren und sind das Rad der Geschichte". Die Sitzungen zogen sich über einige Jahre hin. Die kleinen Monster und ihre Sprüche mehrten sich, "Besser eine Rote Socke als ein Braunhemd", "Ich glaube weiterhin", "Dieses Gespräch fand nicht statt", "Ich habe von nichts gewußt", "Es lebe die internationale Solidarität". Als sich mehrere Hunderte angesammelt hatten, sperrte er sie in einen Karton. Dann tat Karl Eimermacher das, was er seit seiner Studienzeit geübt hat. Um einen schwierigen Forschungsgegenstand in den Griff zu bekommen, sammelt er zunächst Material. Das wird dann gesichtet und ausgewählt und nach bestimmten Prinzipien geordnet und dann endlich einer gründlichen Analyse unterzogen. "Dokumente und Analysen" heißt schließlich auch ein Reihentitel wissenschaftlicher Werke, für den er als Herausgeber und manchmal auch als Autor verantwortlich ist. Was er mit dem Kartoninhalt gemacht hat, erinnert natürlich an sein professionelles Vorgehen: Sichten, auswählen, numerische Ordnung, Beschriftung. Aber hier endet der Vergleich. Denn gesichtet hat er nach Lust und Laune. Ausgewählt nach subjektiven Kriterien, bei denen ihm z.B. Häßlichkeit und Redundanz eher dem Thema angemessen erschien als Schönheit und Einmaligkeit. Die Nummern sind beliebig und austauschbar, zum Teil auch die Texte. Zur wissenschaftlichen Analyse kam es nicht, mit dem Begriff geht er vorsichtig und spärlich um, will ihn nicht alltagssprachlich verwässert sehen. Also, eine Serie ist es nun am Ende doch noch geworden. Und mit ihrer Hilfe bekam er diese aufdringlichen Gesellen in den Griff. Nun ist er fertig mit ihnen, für ihn ist das Thema abgeschlossen.
Exponate: Im Land der Roten Socken
in Vorbereitung